Durch die Corona-Krise haben wir so viele Sicherheiten und Gewohnheiten verloren, dass wir (fast) mit leeren Händen dastehen. Selbst wenn wir Routine manchmal als eine Mühle erfahren, eigentlich »wohnen« wir ein wenig in diesen Gewohnheiten. Jetzt ist viel von unserem vertrauten Leben weggefallen. Nun entdecken wir auf einmal, dass normale Routine und Gewohnheiten auch die Funktion von »Haltegriffen« hatten. Ohne solche Haltegriffe hängen wir auf einmal in der Luft. Dann greifen unsere Hände – ins Nichts. Dies können wir nicht gut aushalten und darum landen wir in einer Krise. Wenn wir auf diese Weise gezwungen worden, im aufgewühlten Meer des Lebens schwimmen zu lernen, dann sind Kreativität und Spontanität unsere »Rettungsringe«. Wir brauchen sie, um nicht allzu viel Salzwasser zu schlucken und nicht zu ertrinken. Aber die Corona-Maßnahmen haben uns selbst diese Rettungsringe weggenommen, denn sie unterdrücken unsere Spontanität. Und mit der Spontanität auch die Kreativität – also das Leben selbst. Somit genau das, was uns eigentlich helfen könnte, diese Krise gut zu bewältigen.
Auch wenn es manchmal so erscheint, die Maßnahmen an sich sind kein Haltegriff. Denn mehr noch als das Virus selbst haben sie – nötig oder nicht – alles ausgebremst. Sie ersticken das Leben, von dem sie vorgeben, es retten zu wollen. Dem Leben ist (beinahe) jede Spontanität genommen – es ist nicht mehr so lebendig. Ohne Haltegriff und ohne Licht am Horizont sehen wir keinen Sinn mehr und darum sackt mit der Spontanität auch unsere Energie weg. Dann wartet »Depressivität« auf uns: Lustlosigkeit, Ratlosigkeit, Hoffnungslosigkeit und Aussichtslosigkeit. Depression lähmt Menschen und nimmt ihnen jegliche Initiative. Seit einigen Wochen ist diese Depressivität bei vielen Menschen wahrzunehmen. Eigentlich ist der Herbst sowieso eine Zeit von Depression. Es regnet (hoffentlich!) und die Blätter werden fallen. Es wird früher dunkel, vor allem wenn bald die Zeitumstellung noch dazu kommt. Diese normalen Herbst-Phänomene werden die Corona-Depression wahrscheinlich noch verstärken. Die Cafés mit ihren Terrassen sind dann weniger attraktiv und darum sitzen wir wieder mehr zu Hause. Was fangen wir dann mit uns selbst an? Es scheint, dass wir der Corona-Krise vorläufig nicht entkommen können. Wahrscheinlich bekommen wir jetzt erst die volle Ladung und beginnt nun das eigentliche soziale und psychologische Elend.
Ein wunderbares Heilmittel gegen Depression besteht darin, sich selbst kleine Ziele zu setzen. Jeden Tag eine kleine Wanderung oder ein leckeres Essen auf den Tisch. Aber auch größere Ziele, die etwas mehr Zeit und Mühe verlangen: eine Sprache lernen, eine Wandergruppe gründen, Mitglied in einem Verein werden, ein neues Hobby beginnen oder ein altes Hobby wieder aufgreifen. Wenn wir uns Ziele setzen und diese zu erreichen versuchen, dann kommt unsere Energie zurück – und mit der Energie auch die Kreativität. Es wäre also gut, sich selbst ein sinnvolles Ziel zu setzen. Die Betonung liegt dabei auf sinnvoll! Sinnvoll ist, was auch noch eine positive Wirkung auf andere hat. Man bekommt zudem ein zufriedenes Gefühl dabei! Viktor Frankl, der große jüdische Psychologe (1905 – 1997), konnte das Entsetzen von vier verschiedenen Konzentrationslagern nur überleben, weil er ein sinnvolles Ziel vor Augen hatte. Er wollte ein Buch über diese schrecklichen Erfahrungen schreiben und aufzeigen, welches die Überlebensmechanismen waren. Die Gefangenen, die trotz des Elends doch noch »Ja« zum Leben sagen konnten und / oder die ein sinnvolles Ziel vor Augen hatten, waren viel besser in der Lage zu überleben. Viktor Frankl hat uns gezeigt, welch´ magischer Power in einem Ziel enthalten ist, das wir als sinnvoll erfahren. Wenn wir unsere Initiative nicht abgeben und mutig nach Chancen suchen. Wir sollten uns also durch die Corona-Maßnahmen nicht die Spontanität und die Kreativität rauben lassen. Denn die haben wir dringend nötig, um am Leben und lebendig zu bleiben. Also aufraffen und aktiv werden. Zudem hat Viktor Frankl uns sehen lassen, wie wichtig Humor ist. Humor ist das »Surfbrett«, mit dem wir auf den »Brechern« des Lebens reiten können. Als Mittel gegen Bitterkeit und um eine gesunde innerliche(!) Distanz zu bewahren. Aber anscheinend sind wir durch die Krise so geplättet, dass wir unseren Humor vergessen haben. Wir haben das Lachen verlernt. Also lachen, über uns selbst und über unsere Kleinmütigkeit und Kleingläubigkeit – um sie uns dann zu vergeben. Vor allem lachen mit anderen, denn zusammen lachen befreit.
Vaalser Weekblad, 11. Sept. 2020
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