Wir denken, dass wir unser Körper sind, deshalb haben wir Angst vor dem Tod. Denn dann ist der Tod das Ende. Aber dies ist nur eine Vermutung, also eine Art »Glaube« – denn es gibt keine Beweise dafür, dass es so ist! Auch der religiöse Glaube verweist auf die »Stofflichkeit« des Körpers, aber immer wieder auch auf die Seele und auf ihr Weiterleben nach dem Tod. Aber auch wenn wir gläubig sind, wird unser Körper doch sterben. Diese »Jacke« hat ihre Funktion als Bekleidung der Seele erfüllt; nun ziehen wir sie aus und lassen sie leblos zurück. Es ist nur unser Körper, der stirbt, der Rest unseres Mensch-seins geht weiter. Trotzdem haben auch gläubige Menschen Angst vor dem Tod. Aber wie ist das möglich? Wie kann man bang sein vor einem Virus oder vor dem Tod, wenn man zugleich an ein Leben nach dem Tod glaubt? Hier stimmt etwas nicht, dies widerspricht sich – aber warum? Der Tod kann uns nur dann ängstigen, wenn unser Glaube nicht ausreicht, uns über diese (natürliche!) Angst hinweg zu helfen. Dies geschieht, wenn unser Glaube nicht bis in die Tiefe unserer Seele durchdringt und somit mehr oder weniger oberflächlich bleibt. Trotz des Glaubens dominiert dann doch die Körperlichkeit und folglich die Angst vor dem Tod. Wir haben Angst und sind depressiv, weil wir den wirklichen Kontakt mit Gott verloren haben (Hein Blommestijn).
GOTT – IDEE ODER ERFAHRUNG?
Gelernt haben wir, dass Gott ein barmherziger Vater ist, der uns in der Not beisteht. Aber in Zeiten, wie dieser Corona-Krise, fällt es schwer, an diesen guten Gott zu glauben. Wenn Er doch Gott ist, warum tut Er dann nicht, worum wir in unseren Gebeten fragen? Vielleicht gibt es diesen Gott nicht? Stimmen die alten religiösen Erzählungen nicht oder haben wir diese Geschichten vielleicht falsch verstanden? Es irritiert maßlos, wenn Gott nicht tut, was Er doch eigentlich tun müsste. Das Ergebnis ist Enttäuschung, manchmal sogar Bitterkeit. Wenn wir nun aber mitten in unserer Verzweiflung doch einmal schauen, was mit diesem Gott vielleicht falsch läuft, dann kommen wir bei unseren Vorstellungen aus, bei unseren Ideen über Gott. Und siehe da, es ist unser Problem, nicht Seins. Denn unsere Ideen über Gott sind nicht identisch mit Gott-selbst. Darum haben wir eigentlich nicht so sehr Angst vor dem Tod, vielmehr vor diesem mysteriösen Unbekannten Gott. Der Gott, dem wir in unserem Tod begegnen, ist kein Gott mehr des Glaubens, sondern der Erfahrung. Der Gott des Glaubens gibt Trost und Ruhe, der Gott der (realen!) Erfahrung kann erschreckend sein. Dann wird die Wahrheit über uns deutlich: unsere Habsucht, unsere Ich-Bezogenheit und unsere lächerlichen Versuche, gut dazustehen. Denn im strahlenden Licht Seiner Anwesenheit wird unsere Fassade bröckeln. Wer sind wir dann, wer sind wir in Seinen Augen?
WACHSEN – ÜBER DIE ANGST HINAUS
Es wäre natürlich phantastisch, wenn es uns einmal gelingen würde, einen Verstorbenen (seine Seele!) zu sehen. Dann bräuchten wir nicht mehr zu glauben, dann verfügen wir über eigene Erfahrung. Nur ist dies nicht allen Menschen möglich. Wohl aber können wir lernen, unsere Wahrnehmung zu erhöhen. Zu beobachten und fühlend wahrzunehmen, immer feiner. Und damit ein Sinneswerkzeug entwickeln, das in uns allen angelegt ist. Also eine Art »Gottes-Sensor«. Wir können tatsächlich lernen, Gott (in Seinem Tun) zu beobachten. Gott ist verborgen und doch offenbar – wenn wir lernen, Ihn wahrzunehmen. Wenn wir »sehend« werden. Das Problem sind unsere Beschränkungen, unsere Blindheit, unsere Taubheit, unser Unglaube, unser logischer Verstand und unser Ich. Darum müssen wir manchmal ernsthaft krank werden oder in eine tiefe Krise kommen (diesmal auch als Gesellschaft), um wieder einen Blick für die wesentlichen Dinge des Lebens zu entwickeln. Um »weise« zu werden. Die Angst entfernt uns von Gott, aber sie kann zugleich sehr nützlich sein. Wenn wir vor ihr nicht zurückschrecken, sondern sie als »Richtschnur« benutzen. Jeder Moment von Angst ist ein »Knoten« in dieser Schnur, die uns durch den Nebel des Lebens leitet. Bei jedem Angst-Knoten ein Schritt nach vorn. Und so – voller Angst – doch Schritte in Richtung von Gott oder Wahrheit zu gehen. Auf dem Weg zu Gott werden wir also immer wieder der Angst begegnen, um sie dann hinter uns zu lassen. Bis Gott schließlich unser Ego einfordert und uns vom Ich befreit. Und nur noch Licht und Liebe übrigbleiben. Endlich ohne Angst!
Vaalser Weekblad, 04. Dez. 2020
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