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Helene Erika Etminan

CORONA-KRISE (1) – UND WAS NUN?

In Krisenzeiten machen Menschen besondere Erfahrungen, die wichtigste hierbei ist die Erfahrung von Ohnmacht. Mit Ohnmacht, Angst und Panik reagieren wir auf etwas, das wir nicht beherrschen können – das wir nicht im »Griff« haben. Wenn eine Kraft oder Macht sich unserer Kontrolle entzieht, sprechen wir von Übermacht. Das mögen wir nicht, auch nicht in normalen Zeiten. Wirklich nicht! In Zeiten von Krise (Krankheit, Tod des Partners oder eines Kindes, Ehescheidung, Arbeitslosigkeit oder Pleite eines Betriebes) besteht deshalb der normale Mechanismus darin, schnellstmöglich wieder in´s normale Leben zurückzukehren. Hierbei unterstützen Menschen sich gegenseitig, sie ermutigen sich und geben guten Rat. Meistens betrifft ein solcher Rat jedoch vor allem die Ablenkung: tu dir was Gutes, gehe mal raus, du hast Ablenkung nötig, geh mal unter die Menschen … Alles gut gemeint, aber diese Art Ratschläge haben vor allem die Absicht, sich nicht mit der Situation zu beschäftigen. Sie versuchen, die Betroffenen davon abzuhalten, heftige Emotionen zu erleben, Einsamkeit zu erfahren oder über praktische Probleme zu grübeln. Also der Ohnmacht, dem Schmerz und dem Leid aus dem Weg zu gehen. Menschen, die sich wirklich in einer Krise befinden, haben oft genug die »Schn… voll« von solchen Ratschlägen, denn die nehmen das Leid doch nicht weg. Und in der aktuellen Corona-Krise helfen diese Empfehlungen sowieso nicht, weil wir alle zusammen im gleichen Boot sitzen.

Es gibt zwei Wege, mit Krisen umzugehen. Der übliche Weg besteht in dem Versuch, der Krise zu entkommen. Also schnellstmöglich wieder Herr der Lage zu werden und wieder alles in den Griff zu bekommen. Dies ist oft die Absicht hinter den oben genannten Empfehlungen und Ratschlägen. Diese übliche »Strategie« funktioniert – wenn die Krise nicht zu stark ist! Sie funktioniert sogar zwei oder drei Mal. Aber es kommt eine Zeit, in der das Leben uns diese Flucht-Strategie nicht mehr zugesteht. Was dann? Der zweite (nicht sehr beliebte) Weg besteht darin, die Krisis zu erfahren und sie zu durchleben.

Weil wir im Moment die Kraft nicht haben, die Krise zu stoppen. Oder weil das Leben will, dass wir nun endlich etwas lernen, das wir lange vermieden oder übersehen haben. Es scheint, als ob die Corona-Krise diesen zweiten Weg von uns verlangen wird. Dies würde bedeuten, dass wir etwas lernen müssen. Etwas, das jetzt an der Reihe ist. Das Leben ist weiser als wir, es will, dass wir zur »Schule des Lebens« gehen. Aber sind wir dazu bereit? Nein, wir wollen nicht lernen, wir wollen unser altes Leben zurück – und genau darum tut eine Krise so weh. Es ist unser Widerstand, der eine Krise so verstörend und beängstigend sein lässt. Es ist der Verlust der Kontrolle, der uns panisch werden lässt. Aber wenn das Leben doch weiser ist als wir, warum dann dieser Widerstand gegen die Schule des Lebens? Weil wir so gern unsere Ruhe haben und weil wir ziemlich verliebt sind in unser eigenes Ich. Wir haben Gott vergessen, der sich in und hinter dem Leben verbirgt, und dachten wirklich, dass unser Ego der Chef ist. Alles drehte sich nur noch um das eigene Ich: ich will Spaß haben, ich habe Recht auf Wohlfahrt, ich will selbst bestimmen, ich werde es schon regeln usw. Durch diese Betonung unseres Egos wurde unser Lebensstil immer materialistischer (kaufen, genießen) und haben wir uns immer mehr nach außen hin orientiert (reisen, ausgehen). Diese Krise lässt uns nun deutlich sehen, dass dies so nicht weitergeht. Der »Corona-Schock« hat mit einem Schlag dem extrovertierten, auf Ablenkung und Genuss ausgerichteten Lebensstil ein Ende bereitet. Wir müssen zurück zu weniger und einfacher, zurück zu Solidarität und Verbundenheit. Das Virus hat geschafft, was allen Büchern über Religion und Spiritualität bisher nicht gelungen ist. Es hat auf erschreckende, aber sehr effiziente Weise deutlich gemacht, dass jeder von uns mit allen anderen Menschen verbunden ist. Mit dieser Krise haben wir also vom Leben Nachhilfeunterricht bekommen. Jetzt müssen wir nur noch lernen, diese Lektion in menschliche Evolution umzusetzen. Jede Krise – individuell, gesellschaftlich oder global – enthält das Potential für persönliche und auch für spirituelle Entwicklung. Wenn wir nicht vor der Krise flüchten (was uns diesmal sowieso nicht gelingen wird!), sondern sie erfahren und durchleben, dann geht jeder persönlich, aber auch die Menschheit als Ganzes, durch einen Prozess von Reifung. Wenn wir hierbei zusammenarbeiten, wird es weniger schmerzhaft werden. Eine Krise ist so viel mehr als einfach eine Gemeinheit des Lebens. Jede Krise will, dass wir lernen und uns weiter entwickeln. In diesem Prozess können Menschen auch den Wert einer persönlichen Spiritualität entdecken. Aber meist werden religiöser Glaube und Spiritualität ignoriert und beiseite geschoben. Weil Gott der Bösewicht ist? Nein, Gott ist die Liebe, die nach der Schule des Lebens auf uns wartet.


Vaalser Weekblad, 27 März 2020

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