Im Angesicht der 2. Corona-Welle lassen Menschen in Gesprächen immer öfter ihre tiefe Sorge und Ratlosigkeit sehen: Wo geht das hin? Wo endet das? Vor allem auch, wenn es um die Mundkappen geht. Wie kann ein medizinischer Laie noch zwischen Pro und Kontra unterscheiden? Denn die medizinische Wirkung von nicht-medizinischen Mundkappen ist noch immer umstritten – sogar unter Fachleuten. Wem sollen wir noch glauben? Deutlich ist wohl, dass die Mundkappen eine psychologische Wirkung haben: Sie beruhigen die Angst. Sie geben das Gefühl, geschützt zu sein – und nähren so eine Illusion. Zugleich bedecken diese »Gesichtswindeln« (Daniel Stricker) die Hälfte des Gesichts, wir können also weniger gut feststellen ob jemand sympathisch ist oder nicht. Denn wir können den Mund und die Gesichtszüge rund um den Mund nicht sehen. Auch die Stimme verblasst hinter den Mundkappen. Die Wirkung der Mundkappen ist deshalb, dass Kontakt und Kommunikation mit anderen weniger werden. Zum Beispiel entfallen die kleinen Small-talks, im Geschäft oder mit dem Bus-Chauffeur, die vor allem für alleinlebende Menschen so wichtig sind. Oft genug ist dies die einzige Kommunikation – außer mit ihrem Hund vielleicht!
DIE FUNKTION VON MASKEN
Wenn wir mit einem spirituellen Blick schauen, sehen wir oft mehr als mit unseren normalen Augen. Selbst im Fall dieser (eigentlich menschenunwürdigen) »Freiheitsberaubung« durch die Mundkappen. So können wir zum Beispiel in den Mundkappen auch die Symbolik von »Masken« entdecken. In vielen Kulturen gibt es religiöse Rituale und Tänze, die mit Masken ausgeführt werden. Diese Rituale haben eine tiefe spirituelle Bedeutung: hinter der Maske ist der Träger der Maske verborgen. Der eigentliche Mensch hinter der Maske kommt erst zum Vorschein, wenn – während des Rituals oder am Ende – die Maske abgesetzt wird. Es ist wie bei einem »Puppentheater«: Wir sehen, wie die Puppen sich bewegen und hören sie sprechen, aber wir sehen und hören den Spieler nicht. Ob ein Puppentheater oder ein religiöses Ritual mit Masken: Beide machen deutlich, dass es schlussendlich um den Träger der Maske geht bzw. um den Spieler, der die Puppen sprechen und sich bewegen lässt. Mit oder ohne Mundkappen: Unser tägliches Leben ist genau solch´ ein Puppentheater. Hinter der Maske der sozialen Rolle ist der eigentliche Mensch zu finden. Der Mensch, der wir wirklich sind. Mit starken und schwachen Seiten, mit schönen und weniger schönen Zügen. Erst wenn wir diese soziale Maske abnehmen, kann der echte Mensch herauskommen und sichtbar werden.
MASKEN MACHEN MÜDE
Wir tragen also auch im alltäglichen Leben Masken. Damit lassen wir sehen, wer wir sind – besser: wer wir denken zu sein. Genau wie eine Mundkappe ist eine soziale Maske einerseits ein Schutz, aber zugleich auch ein Hindernis, um mit anderen in wirklichen Kontakt kommen zu können. Und diese Maske ist schwer; es kostet viel Energie, sie den ganzen Tag, das ganze Leben lang zu tragen. Soziale Masken sind ermüdend. Wir können erst dann entspannen, wenn niemand mehr in der Nähe ist, den wir mit unserer Maske beeindrucken müssten. Entspannung ist erst möglich, wenn wir uns abends aufs Sofa fallen lassen. Dann brauchen wir die Maske nicht mehr aufrechtzuerhalten, jetzt kann endlich der Mensch dahinter zum Vorschein kommen. Das Leben mit Masken ist ein Theaterstück, während das Leben ohne Masken das wahre, authentische Leben ist. Hinter den Masken, die wir im Leben tragen, gleichen wir einander viel mehr als wir denken! Aber es ist nicht so einfach, die soziale Maske abzulegen und den wahren Menschen sehen zu lassen. Den Menschen, der wir wirklich sind, ohne Maske. Denn ohne diese Maske fühlen wir uns vielleicht als ein »Niemand«: nackt und bloß, bedürftig, verletzlich und ungeschützt. Schneller als wir denken können setzen wir die Maske wieder auf – und das Theaterstück geht weiter. Die Mundkappen sind eine kleine, aber doch auch bedrohliche Übung. Gut, dass wir sie außer als Schutz auch als Einschränkung und Freiheitsberaubung erfahren. Es ist eine Chance, dass alltägliche Spiel mit sozialen Masken zu durchschauen und als selbstgewählte(!) Freiheitsberaubung zu erfahren. Wenn wir aber dem Menschen in uns einmal die Chance gegeben haben, die Freiheit ohne Maske zu erfahren – nun, dies macht Lust auf mehr. Und Entspannung ist gut für das Immunsystem.
Vaalser Weekblad, 06. Nov. 2020
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