Mystik und Theologie –
ein spannendes Verhältnis
Erika Helene Etminan
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Auch wenn der menschliche Intellekt noch so brillant ist: Gott und die Absolute Wahrheit befinden sich jenseits des menschlichen Denkens. Zwar können wir über Gott nach-denken, aber wir können Gott nicht denken, auch wenn viele groβe Denker dies bereits vergeblich versucht haben. Vergeblich, denn mit dem Nachdenken über Gott und über Mystik kommt der menschliche Intellekt mit seiner Logik und seinem Widerspruchsgeist ins Spiel. Es entstehen Konzepte, die zu weiterem Denken und zu weiteren Konzepten anregen. Konzepte über Konzepte, die Gott begreifen und das eigen-willige Leben der Mystik in geordnete Bahnen lenken wollen. Sie sind Gedankengebilde, die nur noch wenig mit der Wahrheit und der lebendigen Wirklichkeit Gottes zu tun haben. Eher verweisen sie die Mystik mit ihrer Erfahrungsdimension in den Hintergrund, die dann hinter dem begrenzenden Horizont des Intellekts und der Gelehrsamkeit eine verborgene Existenz führt. Das Ergebnis theologischen Denkens ist aber leider nicht Wahrheit, sondern sind Glaubens-Wahrheiten. Doch etwas zu glauben – und sei es noch so überzeugend – ist nur eine Vermutung, eine Annahme, dass es so sein könnte. Jedoch hat sich im christlichen Sprachgebrauch das Wort „glauben“ auf eine Weise manifestiert, die das, was geglaubt wird, als eine Wahrheit setzt. Gläubige Menschen sagen nicht, „ich vermute“, „ich nehme an“ oder „ich hoffe, dass es so ist“, sondern sie setzen ihre gläubige Annahme als eine Wahrheit, die nicht weiter hinterfragt, sondern sogar noch verteidigt wird. Leider entsteht so eine Zirkel-Argumentation, die sich selbst immer wieder bestätigt, sich verselbständigt und möglicherweise zur starren Glaubensidentität wird. Natürlich können wir versuchen, über Gott und Mystik nachzudenken, was wir aber finden werden, bleibt innerhalb des begrenzten Horizonts unseres Ichs und hat mit der Erfahrung Gottes nicht viel zu tun. Jede mystische Erfahrung aber verläβt diesen Zirkel und befreit die individuelle Seele aus der horizontalen Bewegung einer jeden Apologetik. Erst durch die vertikale Bewegung der mystischen Erfahrung kommt unsere Seele Gott und dem mystischen Christus näher.
Doch für viele Mystiker scheint ein Grund zu bestehen, ihre Erfahrungen nicht in einer direkten Form mitzuteilen, sondern sie in theologische Aussagen zu übersetzen. Ordnen sie sich damit einer Norm unter, die zum Theologisieren verpflichtet? Ist dies vielleicht ein Versuch, die eigenen Erfahrungen in Aussagen zu (ver-)packen, die zugänglicher sind, wenn sie gängigen theologischen Formulierungen entsprechen? Oder geht es um kirchliche Anerkennung? Aber sind die Aussagen von Mystikern nur gültig, wenn sie sich dem Denken spitzfindiger Theologen beugen? Religion speist sich ursprünglich aus mystischen Erfahrungen, wenn aber die Mystik aufgefordert wird, sich der Theologie unterzuordnen, dann wird die ursprüngliche Hierarchie auf den Kopf gestellt. Theologie und Mystik sind zwei verschiedene Universen: hier die Mittelbarkeit – dort die Un-Mittelbarkeit. Hier das Denken, der Intellekt, das kognitive Wissen, die Theorie – dort das Erleben, die direkte Erfahrung und die Erfahrungskenntnis. Mystische Erfahrung ist direkt und un-mittelbar, ohne die Zuhilfenahme des Denkens oder der Sinne. Sie übersteigt das menschliche Denken und somit alle Konzepte, die wir uns von Gott gemacht haben. Dann zeigt sich, dass Gott kein Konzept ist und auch niemals sein wird. Eher geschieht es, dass bestehende Konzepte in der Erfahrung aufgelöst werden. Denn „Gott hat keine Religion!“ (Mahatma Gandhi). Doch anscheinend sorgt die Mystik als lebendige Erfahrung immer wieder für ein leichtes Unbehagen bei Theologen. Sie ist irgendwie verdächtig, weil sie sehr lebendig und eigen-willig ist. Wenn es aber wirklich um Gott geht, dann ist es nicht sinnvoll, mystische Erfahrung auf das Niveau von philosophisch-theologischem Denken herabzuziehen und ihm unterzuordnen. Eigentlich gebührt der mystischen Erfahrung sogar der Vorrang vor der theologischen Reflexion. Aber davon sind wir weit entfernt, wohl weil in der mystischen Erfahrung – und sicher in der Einheitserfahrung – alle Konzeptionen und Identitäten aufgelöst werden. Als Beispiel sei hier auf den groβen Theologen Thomas von Aquin verwiesen, der nach einer tiefen Gotteserfahrung seine theologische Arbeit eingestellt hat, mit der Begründung: „Alles, was ich geschrieben habe, kommt mir vor wie Stroh im Vergleich zu dem, was ich erfahren habe!“ Genau dieses Gerangel um die Gültigkeit mystischer Erfahrung sorgt dafür, dass das Verhältnis zwischen Mystik und Theologie spannend bleibt – bis hin zu angespannt. Das müβte nicht so sein. Der Mystik mit ihrer Erfahrungsdimension und ihrer Gottesnähe sollte zumindest eine Kooperation zwischen gleichwertigen Partnern eingeräumt werden.
Veröffentlicht in:
Gesellschaft der Freunde christlicher Mystik e.V. (GFcM)
Rundbrief 3 / 2023 (S.25-26)
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