Mystik – eine Sprache mit »Akzent«
Erika Helene Etminan
Mystiker betonen immer wieder, dass ihre Erfahrungen eigentlich unaussprechlich sind. Und doch gibt es bei vielen von ihnen einen groβen inneren Drang, anderen Menschen mitzuteilen, dass es noch mehr gibt, als die physikalische Wirklichkeit. Weil die normale Sprache aber nicht ausreicht, die Qualität und vor allem die Intensität solcher Erfahrungen widerzugeben, sind solche Äuβerungen oft in einer poetischen Sprache gehalten: von der Liebe der Seele zum Bräutigam bis hin zum Tropfen im Ozean … Es gibt viele wunderschöne Beschreibungen solcher Erfahrungen. Und es gibt so viele Beschreibungen, wie es Mystiker gibt – obwohl eigentlich alle über dasselbe reden!
Sobald nach einer mystischen Erfahrung das Denken wieder einsetzt, beginnt das Ich mit seinem Verstand diese Erfahrung einzuordnen, sie verstehen und ihre Bedeutung abschätzen zu wollen. Je mehr und je länger darüber nachgedacht wird, desto mehr schwindet die lebendige Erfahrung und wird zur Erinnerung. Es ist die Vertreibung aus dem »Paradies« und das eigene Ich kann dies nicht verhindern. Und mit dem Nachdenken über die Erfahrung wird diese in den vertrauten religiös-spirituellen Kontext eingeordnet, deshalb sind die Äuβerungen von Mystikern oft mit einem konfessionellen »Akzent« verbunden. Wie der Klang einer Muttersprache ist ihre religiöse oder konfessionelle Herkunft herauszuhören, z.B. bei Begriffen wie Brautmystik und Christusmystik oder bei östlichen Begriffen wie Erleuchtung und Nirvana. Aber auch für andere Menschen ist es wichtig, dass der Bericht über eine solche Erfahrung in einer Sprache erfolgt, die sie empfangen können und die ihrer spirituellen Identität entspricht. Für den Mystiker bedeutet dies, sich eventuell anpassen zu müssen und je nach Zuhörer oder Leser die richtigen Worte oder Formulierungen zu finden. Diese sprachliche Reduktion der eigentlich universellen Erfahrung setzt spätestens dann ein, wenn eine mystische Erfahrung anderen Menschen mitgeteilt wird. Mit den gewählten Begriffen wird sie eingeordnet und bekommt sie ein Etikett – damit aber wird sie konserviert und leider auch un-lebendig. Allerdings geht es im Reden über mystische Erfahrung immer auch darum, etwas mitzuteilen, das über alle religiösen Konzepte hinausgeht und eigentlich die Grenzen der vertrauten Sprache sprengt. Deshalb versuchen manche Mystiker mit neuen Begriffen, Formulierungen oder Analogien eine ganz eigene Sprache zu entwickeln, um das Unaussprechliche doch irgendwie in Worte zu fassen. Es ist ein Versuch, die ursprüngliche Intensität und die frische Lebendigkeit ihrer Erfahrung mitzuteilen und damit irgendwie deren Essenz zu retten. Die Sprache der Mystik erfordert aus diesem Grund eine hohe Kreativität und dies ist Mystikern durchaus bewuβt. Die Kunst des Zuhörens wiederum liegt darin, zwischen allen vertrauten oder neuen Formulierungen hindurch, den »Klang« der Erfahrung und der Wahrheit zu erlauschen. Das Ergebnis solcher Versuche sind neue Wortschöpfungen, die später von anderen übernommen werden. Spätestens dann besteht jedoch die Gefahr, dass diese neuen Formulierungen griffige, aber leere Worthülsen werden. Sie sind so weit von der Intensität der ursprünglichen Erfahrung entfernt, dass ihnen deren lebendige Frische abhandengekommen ist. Es scheint also, dass es immer wieder neue Mystiker braucht, um die Groβe Mystische Erzählung weiterzutragen.
Mystiker sind sich ihrer Sache sicher. Ob sie traditionelle Begriffe verwenden oder ihren Bericht mit neuen Formulierungen anreichern: Es ist vor allem ihre beeindruckende Sicherheit, die – als eine Art universeller »Akzent« – andere Menschen aufhorchen läβt. Denn es ist ein Unterschied, ob jemand aus Überzeugung oder als »Zeuge« redet.
Veröffentlicht in:
Gesellschaft der Freunde christlicher Mystik e.V. (GFcM)
Rundbrief 3 / 2022 (S.30-31)